Eine Stele für die Wachsamkeit

Text: Hersbrucker Zeitung 9.3.2020 – Fotos: Verein Dokumentationsstätte KZ Hersbruck
Ewald, Adolf, Erich – diese Namen spitzen unter dem weißen Tuch hervor, das die filigrane, helle Stele verhüllt. Es flattert im kalten Wind. In den Grüppchen am Weg durch den Rosengarten wird sich umarmt. Die Stimmung ist schwer in Worte zu fassen – eine Mischung aus Bedrücktheit ob der Vergangenheit und Freude, dass der Deportation der Hersbrucker Sinti-Familien am 8. März 1943 endlich in einem Mahnmal gedacht wird.

Vor allem viele Mitglieder der betroffenen Familien Höllenreiner, Lehmann, Strauß und Schmitt sind gekommen. „Wir hätten gerne unseren Beitrag dazu geleistet, wenn wir früher davon erfahren hätten“, sagt einer der Angehörigen zu Thomas Wrensch, Vorsitzender des Vereins Dokumentationsstätte KZ Hersbruck. Doch auch Politiker und Bürger haben den Weg in den Rosengarten gefunden, in dem die Stele gleich nach dem ersten Rosenfeld steht. „Ein schöner Platz“, ist mehrfach zu hören.

Denkwürdiger Ort

Ausgerechnet im Rosengarten, denn dieser ist laut Klaus Wiedemann, zweiter Vereinsvorsitzender, in den 30ern im Zuge der „Kraft durch Freude-Bewegung“ der Nazis entstanden. Oder besser gerade im Rosengarten, denn: „Sie setzen heute ein Zeichen“, betont Wiedemann, „dass es keinen Unterschied zwischen Mensch und Mensch gibt“. Daran solle auch der regionale Jura-Stein mit den vier beschrifteten Seiten mit Namen und Leidensstationen der Sinti erinnern: „Sie werden damit dem Vergessen entrissen“, ergänzt Wrensch. Geschaffen habe ihn Bildhauer Heinz Siebenkäs dank Sponsoring der Bruno Schnell- sowie der Sparkassen-Kulturstiftung und vieler kleiner Spender, so Wiedemann, der mahnt: „Seid wachsam!“

Dass dazu auch diese Stele beitragen könne, das unterstreichen Bürgermeister Robert Ilg, Landrat Armin Kroder und Erich Schneeberger vom Verband der Sinti und Roma in Bayern. Alle drei sind sich einig, dass Gedenken und Aufklärung über die Nazi- Vergangenheit gerade jetzt wichtiger denn je seien: Der Blick gehe damit nicht nur zurück, sondern in die Zukunft. Denn die aktuellen Geschehnisse „stimmen nachdenklich“.

Zumal der Holocaust Barbarei und Staatsverbrechen war, der durch einen modernen Verwaltungsapparat begangen wurde, erklärt Schneeberger. Er beschreibt eindringlich Abholung und Leiden der Hersbrucker Sinti und wie ihnen die Nazis das Existenzrecht abgesprochen hatten: Aus Namen wurden in Auschwitz Nummern wie „Z4593“. Daher sei es so wichtig, diesen Personen in Form des Gedenksteins wieder „eine eigene Würde zu geben“.

Dass genau diese „Würde eines jeden Menschen unantastbar“ sei, macht Kroder klar: „Wir sind ein sozialer, demokratischer und weltoffener Landkreis und lehnen kategorisch jede Form von Extremismus Er ruft auf, bei der Kommunalwahl die mit einem Kreuz zu bedenken, die für Toleranz und das Einhalten der Grundrechte stehen. Auch Ilg appelliert an ein „friedvolles Miteinander in der Stadt“. Er hofft und denkt, dass die öffentlichen Debatten über die passende Lösung für die Stele die Menschen für das Thema sensibilisiert haben.

Denn der Prozess von der Idee bis zur Enthüllung sei kein einfacher gewesen, pflichtet Wrensch bei. 2014 habe Eva Franz die Gräber ihrer Vorfahren in Hersbruck gesucht. Das habe im Verein den Anstoß gegeben, „Mitgefühl für deren Vergangenheit zu entwickeln“ und Nachforschungen anzustellen: Am 8. März 1943 wurden 15 Sinti um 7.19 Uhr mit dem Personenzug nach Nürnberg gebracht: „Sie wurden aus dem Leben herausgerissen.“ Von dort ging es im Viehwaggon – er wurde als „stärkstes Symbol“ als Motiv für die Stele gewählt – ins Zigeunerlager Auschwitz; das überlebten nur sechs.

Hinweis – Korrektur durch Verein Dokumentationsstätte KZ Hersbruck: „Es wurden im erwähnten Personenzug am 8. März 1943 nur 6 Sinti nach Nürnberg gebracht. Insgesamt 15 Sinti waren ab 8. März 1943 aus Hersbruck deportiert, wobei nur 6 überlebten.

Doch wie und wo sollte man diesen Geschehnissen gedenken? Viele überlegungen habe es gegeben, darunter Stolpersteine in der Stadt, „aber wir wollten das Andenken nicht mit Füßen treten“, erklärt Wrensch. Der Rosengarten und die Nähe zur Bocchetta-Statue schienen am besten geeignet, um sichtbar zu machen, dass „wir die Menschenrechte hochhalten wollen und wir weiterhin Mitgefühl für Muslime und Flüchtlinge zeigen“.

Mitgefühl wahren

Alle Menschen schließen daher auch Dekan Tobias Schäfer, Pfarrer Wunnibald Forster und Erzpriester Apostolos Malamoussis in Gebet und Segen ein, bevor Wrensch, Ilg und Angehörige das weiße Tuch zu den melancholischen Klängen von Peter und Dieter Grünholz lüften. Ein bewegender Moment: Nicht nur Familienmitglieder haben Tränen in den Augen, auch Bürger: „Sie demonstrieren damit Mitgefühl“, sagt Wrensch.

Und Stele sowie die Broschüre „Verfolgt, deportiert, ermordet. Die Geschichte der Hersbrucker Sinti“ von Paul Kornmayer mit einzelnen Geschichten, sollen zu Mitgefühl anregen. Die Sinti- Geschichte zeige, wohin das Verdrängen dieser „ersten menschlichen Regung“ führe, zu Rassenwahn, Hass und Hetze: „Lassen wir uns unser Mitgefühl niemals nehmen.“

Die Gedenkstele

Die Gedenkstele für die Hersbrucker Sinti von allen vier Seiten.