Einleitung zum Jahrestag am 8.5.2020  

Thomas Wrensch, Vorsitzender Dokumentationsstätte KZ Hersbruck e.V.
Kriegsende vor 75 Jahren. Die Herrschaft der Nazis in Europa, in Deutschland und in Hersbruck ist zuende. Das Ende wurde von den Alliierten militärisch erzwungen. Hersbruck wurde an US Soldaten der 65th US Infantry Division übergeben. Die Stadt war befreit vom mörderischen Naziregime. Das KZ vor den Toren der Stadt war geräumt und aufgelöst. Die Menschen, so schildern es Zeitzeugen, ringen mit der Niederlage und der eingetrichterten Furcht vor dem Feind. Noch mehr hoffen und sehnen sie sich nach Frieden. Was kommt jetzt?
Wir möchten an diese Zeit erinnern, an die Geschehnisse rund um das KZ, an die Erlebnisse und die Situation vieler Menschen vor Ort. Wir erinnern an die Opfer, die es bei den Alliierten, bei den Deutschen und den Nachbarn kostete. Der Neuanfang war auch in Hersbruck schmerzlich. Not und Elend waren vorherrschend. Die Zeugen des überwundenen Systems waren weiter allgegenwärtig, baulich, in der Art und Weise des Zusammenlebens, in den Köpfen und Herzen. Den von der Nazizeit geprägten politischen Anschauungen und Haltungen musste man mühsam auf die Spur kommen. Zaghaft konnten demokratische Strukturen gebildet werden und ein Gemeinwesen entstehen, das auf Recht, Mitwirkung und Menschenwürde basiert.

Wir wollen auf die Erinnerungsarbeit hinweisen, die mit der Setzung eines Gedenksteins 1983 wieder begann. Sie wird bis heute von Bürgerinnen und Bürgern in den Gewerkschaften und im Doku-Verein zusammen mit der Gedenkstätte KZ Flossenbürg und der Stiftung Bayerische Gedenkstätten getragen. Dies geschah und geschieht selten ohne politische Auseinandersetzung, häufig aber auch mit großer Zustimmung und Unterstützung durch Menschen aus Hersbruck und Umgebung. Heute leben die Menschen in Deutschland und vor Ort überwiegend im demokratischen Miteinander. Unser Ziel ist es, keinen Menschen mehr auszugrenzen. Das ist das Vermächtnis des Endes des Weltkriegs. Und die Aufgabe heute.

Ein Interview

mit Eckart Dietzfelbinger, Historiker

Wie hat die deutsche Gesellschaft auf den erzwungenen Bruch mit nationalsozialistischem System und Handeln im Übergang zu demokratischen Strukturen reagiert?
Nach der Befreiung der Konzentrationslager durch die alliierten Streitkräfte sah sich die deutsche Bevölkerung mit den NS-Verbrechen konfrontiert. Die überwiegende Mehrheit der Menschen verdrängte ein Nachdenken über Verantwortung und Schuld. Trauer und Sorge galten vor allem den eigenen Toten und Vermissten.
Die von den Siegermächten zur Beseitigung des Nationalsozialismus eingeleitete Entnazifizierung, die politische Säuberung von Hitlers etwa 8,5 Millionen Parteigängern und Helfershelfern, wurde nur wenig akzeptiert. Bis 1947/48 hatte mit dem aufziehenden Kalten Krieg zwischen West und Ost das allgemeine Interesse daran schon stark nachgelassen.
Am Wiederaufbau demokratischer Parteien auf Beschluss der Alliierten beteiligten sich fast ausnahmslos Vertreter des ehemaligen Weimarer Parteiensystems, die die Jahre des Nationalsozialismus teils im Exil, teils im Inland verbracht hatten.

Was waren die Maßnahmen und Faktoren, die zum Aufbau demokratischer Strukturen geführt haben?
Zu den erklärten Zielen der Siegermächte gehörte die strafrechtliche Verfolgung der NS-Verbrechen und die Beseitigung des Nationalsozialismus (Entnazifizierung).
Unter Federführung der USA fand in Nürnberg vom November 1945 bis Oktober 1946 der Prozess des Internationalen Militärgerichtshofs gegen die nationalsozialistischen Hauptkriegsverbrecher statt (Nürnberger Prozess). Neben diesen Verfahren gab es weitere Kriegsverbrecher-Prozesse. So wurde die politische NS-Elite ausgeschaltet und konnte keine Rolle mehr spielen.
Die westlichen Siegermächte pflegten im Unterschied zur Sowjetunion ein pluralistisches Demokratieverständnis. In den von ihnen kontrollierten Besatzungszonen schufen sie Strukturen für eine föderative verfassungsstaatliche Demokratie. Bis 1947 gründeten sie neue Länder als Verwaltungseinheiten und veranlassten erste demokratische Wahlen. Für die politische Bildungsarbeit („Reeducation“) bauten sie Presse und Rundfunk neu auf und setzten auch kulturelle Veranstaltungen (Theater, Film, Musik, Literatur) dafür ein.

Wie ist die Gesellschaft mit Tätern und deren Opfern umgegangen?
In Westdeutschland blieben die NS-Verfolgtengruppen gesellschaftlich ausgegrenzt, insbesondere Kommunisten, Sinti und Roma, Homosexuelle, und Menschen, die als „Asoziale“ oder „Kriminelle“ in die KZ verschleppt worden waren. Sie erlitten oft lebenslang berufliche Benachteiligungen und Verbote. Antisemitische Vorstellungen waren noch 1949 weit verbreitet.
Die Kirchen sahen sich aufgrund ihrer nationalkonservativen Gesinnung zur Freilassung von verurteilten NS-Kriegsverbrechern verpflichtet. Sie erreichten, unterstützt von zahlreichen Politikern, deren nahezu vollständige Freilassung und gesellschaftliche Rehabilitierung.
Im Sog des Kalten Krieges und dem neu aufgelegten Antikommunismus als einer wirkungsmächtigen ideologischen Kontinuitätslinie machte die Gesellschaft in Westdeutschland den „Großen Frieden mit den Tätern“ (R. Giordano). Die Verabschiedung der drei Straffreiheitsgesetze 1949 bis 1954 garantierte in verschiedenen Bereichen der staatlichen Verwaltung, insbesondere in der Justiz, hoch gradige personelle Kontinuität früherer Nationalsozialisten und NSDAP-Mitglieder. Die frühere Parteimitgliedschaft wurde geradezu eine Voraussetzung für die Einstellung in den öffentlichen Dienst.
So gelang den meisten Tätern die unauffällige Rückkehr in ein bürgerliches Leben, ohne für ihre Verbrechen zur Verantwortung gezogen zu werden.

Was können wir aus diesen Entwicklungen in der Nachkriegssituation lernen?
Die Befreiung von der NS-Herrschaft, die Bestrafung der NS-Führung durch die Siegermächte und die Besetzung des Westens von Deutschland durch demokratische Staaten war für die Konstitution der 1949 gegründeten Bundesrepublik Deutschland und ihrer Entwicklung zu einer funktionstüchtigen parlamentarischen Demokratie von zentraler Bedeutung. Ihr politisches Selbstverständnis in all seinen Wandlungen stand und steht bis heute in einem engen Zusammenhang mit der NS-Vergangenheit. Für die Bewahrung der Demokratie und der im Grundgesetz festgeschriebenen humanistischen Werteordnung bleibt dieses Bewusstsein und seine Erhaltung im politischen und gesellschaftlichen Leben unverzichtbar. Der gegenwärtige Rechtsextremismus und Rechtsterrorismus verdeutlichen das Gefährdungspotenzial.

Das Kriegsende in Hersbruck und der Beginn einer neuen Zeit

von Christoph Maier
Als vor 75 Jahren die amerikanischen Truppen in Hersbruck einmarschierten, war das nicht nur das Ende des Krieges, sondern auch der Beginn einer neuen Zeit. Krieg, Flucht und Vertreibung bestimmten in den vergangenen Jahren unsere Nachrichten, im Deutschland der Nachkriegszeit aber das tägliche Leben. Angesichts der Corona-Krise sind nun plötzlich auch Begriffe wie „Hamstern“ und „Ausgangsbeschränkung“ keine Worte mehr aus einer fernen Zeit, sondern tagesaktuell. Eine erstaunliche regionale Parallele zu damals ist auch der wachsende Wunsch, die Natur und damit die Lebensgrundlage der Menschen besser zu schützen. Dass der Natur- und Landschaftsschutz inmitten der enormen Herausforderungen des Neuaufbaus von Land und Gesellschaft eine so hohe Gewichtung erfahren hatte, war das Verdienst von Michael Roiger. Der wurde wenige Monate nach Kriegsende Landrat im Kreis Hersbruck und prägte in diesem Amt die Region nachhaltig. Als der Krieg im April 1945 auch in Bayern Schneisen der Vernichtung durch das Land zog, blieben die östlich von Nürnberg gelegenen Städte Lauf und Hersbruck weitgehend verschont. Das war großes Glück, denn eigentlich war diesen im blutigen Endkampf des untergehenden NS-Regimes die Rolle von Eckpfeilern in der Verteidigung Nürnbergs zugedacht gewesen. Doch da die von Würzburg kommende US-Army sehr schnell durch die Fränkische Schweiz vorrückte, fand die geschlagene deutsche Wehrmacht keine Gelegenheit mehr, entlang der Pegnitz eine Verteidigungslinie aufzubauen. Die Amerikaner hatten bereits am 15. April Lauf besetzt und drangen tags darauf vom Sittenbachtal kommend in Hersbruck ein. Doch ihre Panzerspitze zog sich noch einmal zurück, um einen vom Truppenübungsplatz Grafenwöhr aus vorgetragenen Gegenangriff abzuwehren. Ein zusammengewürfeltes und mit alten Übungspanzern ausgestattetes letztes Aufgebot stieß über Velden in Richtung Autobahn vor, um in den Endkampf um Nürnberg einzugreifen. Doch diese Einheiten waren chancenlos und wurden geschlagen. Dabei zahlten auch die Dörfer um den Hohenstein und die Stadt Velden einen hohen Preis und wurden stark zerstört. Die im Raum Hersbruck verbliebenen deutschen Einheiten zogen in Richtung Neumarkt ab und kämpften dort gegen die US-Army. Während die Kämpfe in Nürnberg am 20. April zu einem Ende kamen, wurde jetzt auch Neumarkt schwer zerstört.
In und um Hersbruck war bis zum endgültigen Einrücken der Amerikaner ein Machtvakuum entstanden in dem liegengebliebene Züge, Vorratsdepots und die Dogger-Baustelle bei Happurg geplündert wurden. Das Konzentrationslager in Hersbruck, dessen Häftlinge auf der Houbirg an einer riesigen unterirdischen Stollenanlage für die Rüstungsindustrie gearbeitet hatten, war bereits in den Wochen zuvor von der SS geräumt worden. Um die 4000 Menschen hatten bei den Bauarbeiten durch Hunger, Krankheit, Erschöpfung und Gewalt ihr Leben gelassen, Hunderte entkräftete Häftlinge wurden auf dem Todesmarsch zum Konzentrationslager Dachau erschossen und am Wegesrand verscharrt. Das jetzt leerstehende Konzentrationslager funktionierte die US- Besatzungstruppe zu einem provisorischen Kriegsgefangenen- und später einem Internierungslager für politische Mandatsträger und Funktionäre der NSDAP um. Das unter den Nationalsozialisten geltende Recht erklärte die US-Army für nichtig und sicherte sich gegen etwaigen Widerstand durch Verbot des Individualverkehrs und Ausgangssperren ab. Für die vielen nach Deutschland verschleppten Zwangsarbeiter und Kriegsgefangenen, sowie für alle die unter der NS-Herrschaft gelitten hatten, war jetzt die langersehnte Befreiung gekommen. Für die Funktionäre der NSDAP bedeutete es dagegen das Ende ihrer langjährigen Privilegien und sie mussten befürchten zur Verantwortung gezogen zu werden. Die Mehrheit der Bevölkerung hatte den Nationalsozialismus lange unterstützt, war aber längst kriegsmüde und über das Ende der Kampfhandlungen erleichtert. Ein Nachdenken über Ursachen und Verantwortung von Krieg, Unrecht und Verbrechen fand in Anbetracht der totalen Niederlage aber eher selten Raum. Die eigenen Entbehrungen und der individuelle Überlebenskampf im weitgehend zerstörten Land mit unsicherer Zukunft bestimmten den Alltag. Millionen Flüchtlinge kamen nach Westdeutschland, die Städter fuhren zum „Hamstern“ aufs Land, der Schwarzmarkt blühte auf und Zigaretten wurden zur neuen Währung. War der Mangel auch allgegenwärtig, so hatte die Region Hersbruck doch eine verhältnismäßig gute Ausgangsposition für die Nachkriegszeit. Während die großen Städte immens zerstört waren, hielten sich die Kriegsschäden hier in Grenzen und die breite landwirtschaftliche Basis sicherte die Ernährung.
Die oberste Befehlsgewalt übte in Hersbruck von 1945 bis 1949 die amerikanische Militärregierung aus, ohne deren Zustimmung nichts möglich war. Sie sicherte die öffentliche Ordnung, ließ NS- Symbole aus der Öffentlichkeit entfernen und Plätze und Straßen umbenennen. Um möglichst schnell zu geregelten Verhältnissen zu kommen, band sie die deutschen Behörden zügig wieder in die Verwaltung ein. Das Landratsamt Hersbruck wurde mit seinen Abteilungen für Fragen des Wiederaufbaus, der Kohlezuteilung, des Verkehrs- und Flüchtlingswesens sowie dem Ernährungs- und Wohnungsamt die zentrale koordinierende Instanz im regionalen Leben. Da aber die alten Mandatsträger wie der Hersbrucker Bürgermeister Dr. Neusinger und Landrat Nunhofer nicht mehr tragbar waren, fragten die Amerikaner bei den Kirchen nach politisch unbelasteten Personen für das Bürgermeisteramt an. Die empfahlen den Justizinspektor Michael Roiger (1892 – 1987), der als Kopf der Hersbrucker SPD unter den Nationalsozialisten seine Stelle verloren hatte und als äußerst integre Persönlichkeit galt. Das war wichtig, denn der amerikanischen Besatzungsmacht war bekannt, dass die Region Hersbruck eine frühe Hochburg des Nationalsozialismus gewesen war. Doch dem im April zum Bürgermeister ernannten Roiger gelang es „ohne würdelose Anbiederei die Besatzungsmacht vom guten Willen der Behörden und eines Großteils der Bevölkerung zu überzeugen.“ Das wirkte sich aus und die Militärregierung begann Reglementierungen zu lockern und unterstützte zunehmend die Anliegen des Landkreises und den Wiederaufbau. Dabei konnte die Stadt Hersbruck auch von infrastrukturellen Vorarbeiten profitieren, die beim Bau der Dogger- Stollen geleistet worden waren. Als im August 1945 die Wasserversorgung für die durch Flüchtlinge und „Bombenevakuierte“ stark gestiegene Bevölkerungszahl nicht mehr ausreichte, ermöglichte es die Militärregierung die eigentlich für den zukünftigen Rüstungsbetrieb gebohrten Brunnen an die Hersbrucker Wasserversorgung anzuschließen. Viele der ehemaligen Baubaracken und Arbeiterunterkünfte um die Houbirg wurden von der Flüchtlingsverwaltung jahrelang als Unterkünfte für die vielen Heimatvertriebenen genutzt, bis auf dem Gelände des vormaligen Konzentrationslager neue Wohnungen entstanden waren.
Mit dem Wiederaufbau und der Sicherung der Lebensgrundlagen ging auch das Erwachen eines neuen politischen Lebens einher. Wurde Roiger im September 1945 noch als neuer Landrat von der Militärregierung eingesetzt, nahmen jetzt auch demokratische Strukturen Kontur an. Im April 1946 wurden die Vertreter des zukünftigen Kreistags gewählt, die wiederum einen Landrat wählten. Roiger konnte dabei die meisten Stimmen auf sich vereinen und war somit demokratisch legitimiert. Fast zwei Jahrzehnte lang wurde er stets wiedergewählt und prägte in seiner bis 1964 dauernden Amtszeit den Landkreis nachhaltig. Seine Politik war konsens- und ausgleichsorientiert, sein vorausschauendes Denken nahm viele heute aktuelle Themen vorweg. Nach dem Krieg waren die SPD und die Kommunistische Partei die ersten wieder aktiven Parteien während sich FDP, CSU und der Bürgerliche Block erst noch formierten. Dem trug Roiger als Landrat Rechnung und nutzte seine einflussreiche Stellung nicht für Parteipolitik, sondern suchte das Einvernehmen mit den verschiedenen politischen Strömungen und amtierenden Bürgermeistern. Der erste gewählte Hersbrucker Bürgermeister nach dem Ende des 3. Reichs war ab Januar 1946 Hans Söll von der FDP. Im Jahr 1948 setzte sich der parteilose, dem Bürgerlichen Block angehörige Dr. Kapp gegen Söll, Dressel von der SPD und Schäfer von der CSU durch. Roiger musste im Laufe seiner Amtszeit aber auch feststellen, dass das alte Gedankengut nicht verschwunden war und Leute die im 3. Reich den Ton angegeben hatten, wieder in der Stadtpolitik mitredeten. Das Thema Konzentrationslager wurde so im Lauf der Jahrzehnte immer mehr zum Tabu. Während Roigers Dienstzeit wurde deshalb vor allem im Landratsamt der Tatsache Rechnung getragen, dass die Geschehnisse um das Konzentrationslager Hersbruck im Ausland nicht vergessen waren und die Entwicklung der Stadt dort bis in höchste Regierungsebenen aufmerksam verfolgt wurde. Die regelmäßig mit ihren Angehörigen nach Hersbruck kommenden ehemaligen KZ-Häftlinge fanden im Landrat stets eine zuverlässige Anlaufstelle, was bei seinen bayerischen Amtskollegen nicht immer der Fall war. So half seine Einstellung das Ansehen der jungen Bundesrepublik Deutschland bei den ehemaligen Kriegsgegnern zu heben und zur Völkerverständigung beizutragen.
Die Entwicklung des Landkreises Hersbruck förderte Roiger etwa durch den Bau der Landwirtschaftsschule auf dem vormaligen KZ-Gelände. Die dort auf Initiative ehemaliger Häftlinge angebrachte Tafel war lange Zeit der einzige Hinweis auf die Geschichte des Areals. Mit dem Ausbau des Hersbrucker Krankenhauses stärkte er die örtliche Gesundheitsversorgung. Ein ganz besonderes Anliegen war ihm stets die reiche Natur- und Kulturlandschaft. Alte Bäume und Eichenhaine, die das Landschafts- oder Dorfbild prägten, ließ er unter Schutz stellen und bereits 1945 entstand mit dem Oberen Molsberger Tal das älteste Naturschutzgebiet im Nürnberger Land. Als er das damals übliche Ausbrennen von Gebüsch an Straßenrändern und auf den Feldern verbot, bekam er den nicht immer wohlwollend gemeinten Namen „Heckenmichel“.
Beim gewohnten Blick auf die Houbirg ist den meisten Hersbruckern nicht bewusst, dass der landschaftsprägende, von einem keltischen Ringwall gekrönte Berg ohne Roigers Eingreifen in dieser Form heute nicht mehr existent wäre. Bereits während des Baus der Dogger-Stollen war der Berg übel geschunden worden und nur das Kriegsende hatte eine ausgreifende Ausbeutung der alten Steinbrüche verhindert. Als im Zeichen des Wiederaufbaues dort mit schwerem Gerät Schotter gewonnen werden sollte, verhinderte Roiger die Zerstörung des Kultur- und Naturdenkmals und konnte auch in den kommenden Jahren einen großangelegten kommerziellen Steinbruchbetrieb unterbinden. Vor 75 Jahren, in einer Zeit von deren Dramatik wir heute selbst unter den Auswirkungen von Corona nur eine schwache Vorstellung haben können, hatte Roiger mit seinen Vorstellungen vom Ausgleich zwischen verfeindeten Nationen, zwischen den Menschen in der Region sowie zwischen Mensch und Natur einen Weg beschritten, der von Nachhaltigkeit und Weitsicht gleichermaßen geprägt war.

U.S. Army erinnert an die Befreiung von Hersbruck 1945 durch die 65th Infantry Division

Tom Peine,
Public Affairs Office – Strategic Outreach
7th Army Training Command, Grafenwöhr

Erinnerungen und Gedenken an historische Geschehnisse sind wichtige Elemente in der militärischen Tradition. Heute aktive Einsatzbrigaden und Einheiten haben Bildbände, Geschichtsbücher, Ausstellungsstücke in ihren Hauptquartieren, bis hin zu ganzen Museen, um die Erinnerung an vergangene Einsätze und an die in Verbindung damit gebrachten Opfer wachzuhalten.
Anlässlich des 75. Jahrestages des Weltkriegsendes in Europa, erinnern wir uns an die 65th Infantry Division der U.S. Army, die am 16.4.1945 Hersbruck und seine Umgebung vom Nazi-Regime befreit hat.

Obwohl es derzeit keine 65th Infantry Division der U.S. Army gibt, wird die Erinnerung an den Kampf, die Opfer und die Befreiung durch die ehemaligen Soldaten der 65th Infantry Divison wachgehalten, u.a. durch Gedenkveranstaltungen wie sie ursprünglich in Hersbruck geplant waren. Das diese Verbundenheit zur Geschichte bis heute wachgehalten wird, brachten Veteranen der Einheit mit der Stiftung einer Bronzegedenkplatte zum Ausdruck, die in 2015 gespendet und zusammen mit anderen Gedenkplaketten installiert wurde.
Leider ist der geplante Besuch von Veteranen der 65th Infantry Division und ihrer Angehörigen in Hersbruck Anfang Juni mittlerweile der grassierenden Corona Pandemie zum Opfer gefallen.
Doch auch das nahegelegen stationierte 7th Army Training Command der U.S. Army, sieht den historischen Bezug und fühlt eine tiefe Verbundenheit mit den Geschehnissen vor 75 Jahren. Eine Teilnahme an dem geplanten Gedenken war vorgesehen. Jetzt bleibt uns lediglich das geschriebene Wort als Zeichen empfundener Gemeinschaft.
Bereits im Januar 2018, fasste der Kongress der USA einen Beschluss zur Durchführung und Unterstützung von Gedenkfeierlichkeiten anlässlich des 75. Jahrestages der Beendigung des Zweiten Weltkrieges durch das Verteidigungsministerium. Einer der fünf aufgeführten Hauptziele wurde von den Kongressmitgliedern dabei wie folgt angegeben: „Zur Erinnerung an den Holocaust, die Vernichtung von sechs Millionen Juden durch das Naziregime, und das Zollen von Anerkennung der alliierten Truppen, die Nazi-Konzentrationslager während des Zweiten Weltkriegs befreiten.“
75 Jahre nach dem Ende der Feindseligkeiten in Europa finden die Tapferkeit und der Heldentum aller Verbündeten nach wie vor Resonanz bei den US-Streitkräften in Europa, die fest zu Ihrer Verpflichtung gegenüber unseren europäische Verbündeten und Partnern stehen.
Die Befreiung von Konzentrationslagern in der letzten Phase des Zweiten Weltkriegs in Europa nimmt in unserem kollektiven Gedächtnis einen besonderen Platz ein. Der Prozess der Befreiung dieser Lager bedeutete auch, dass Soldaten direkt das Ausmaß der menschlichen Tragödie vorfanden und Augenzeugen wurden. Die Männer und Frauen des heutigen US-Militärs bleiben für immer den Veteranen des Zweiten Weltkriegs verpflichtet, die selbstlosen Dienst leisteten und Opfer brachten zur Verteidigung des globalen Friedens und der globalen Sicherheit, und die diese ganz besondere Generation auszeichnen.
Die besondere Bedeutung der Befreiung vom Naziregime liegt vor allem auch darin, dass sie die Grundlage für eine demokratische Gesellschaftsordnung in Deutschland geschaffen hat.
Während sich die Natur der Kriegführung dramatisch verändert hat und sich das Kriegsgeschehen in andere Bereiche verlagert hat, sind der Mut und die Tapferkeit der Soldaten, die im Zweiten Weltkrieg gekämpft haben, ewig während. Insgesamt hat der Zweite Weltkrieg moderne multinationale Operationen hervorgebracht und Partnerschaften und Bindungen geknüpft, die wir nachhaltig schätzen und die uns bis heute zugutekommen.

Hersbruck in der Nachkriegszeit

Erster Bürgermeister Robert Ilg,
Von der Überheblichkeit des Denkens einer undemokratischen Zeit
1945 – der Krieg ist zu Ende
Im Tagesbuch einer damals 20jährigen jungen Frau durfte ich den Eintrag vom 9. Mai 1945 lesen: „Jetzt schütten alle ihren Spott über die Nationalsozialisten aus. Lächerlich ist es, wenn man bedenkt, dass wir den Aufstieg und Untergang eines 1000 jährigen Reiches erlebt haben. Was wurden dafür Lieder gesungen vom Tod für die Fahne und nun ist der Traum zu Ende.“
Das Ende des Krieges war ein Aufatmen. Ein Regime der absoluten Macht über jeden einzelnen hatte sein Ende gefunden. Ideologie, Mentalität und Krise spielen eine Rolle bei der Frage, wie es überhaupt dazu kommen konnte. Das nationalsozialistische Gedankengut war aber nach Ende des Krieges nicht einfach aus den Köpfen getilgt. Für viele war ein Traum geplatzt.

Gegen das Vergessen
Hersbruck hat das Konzentrationslager vor seinen Toren lange verleugnet. Argumente, man hätte nichts davon gewusst, sind letztendlich der Scham und dem psychologischen Unvermögen geschuldet gewesen, sich damit auseinandersetzen zu müssen.
Im Oktober 1949, bei einer Landwirtschaftsausstellung auf dem ehemaligen KZ-Gelände sagte der damalige Landwirtschaftsminister Alois Schlögl: „Wir wollen, dass dieser Schandfleck einer unseligen Zeit endgültig aus dem Gesichtskreis der Bevölkerung verschwindet.“ Die Baracken wurden bald abgerissen. Und den Menschen vor Ort war dies recht. Damit konnte man totschweigen, was nicht mehr zu sehen war.
Erst Anfang der 80er Jahre war es die Facharbeit eines Abiturienten über das ehemalige Außenlager, die zunächst eine Welle der Ablehnung hervorrief, dann aber auch der Beginn einer Aufarbeitung war. Heute haben wir mit dem Verein Dokumentationsstätte KZ Hersbruck und der Gedenkstätte Flossenbürg Organisationen, die uns helfen unsere Geschichte wach zu halten. Mit dem erstellten Kubus gibt es einen Ort, der Geschichte sichtbar macht.
Demokratie gegen Ideologie – Dass sich Hersbruck nach dem Krieg demokratisch organisieren konnte, hat sicherlich der für den ganzen Westen geltende „Flankenschutz“ einer weitsichtigeren Politik der Besatzungsmacht begünstigt. Das Wirtschaftswachstum der 50er/60er Jahre hat den Lebensstandard der Bevölkerung erhöht. Das kam einer demokratischen Entwicklung sehr entgegen. Und so leben wir heute in einem erfolgreich restaurierten System der Bürgerfreiheit. Art. 28 des Grundgesetzes gewährt den Gemeinden das Recht „alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft im Rahmen der Gesetze in eigener Verantwortung zu regeln.“ Es war in den Jahren nach dem Krieg ein Weg der kleinen Schritte. Kommunen haben sich zum demokratischen Basislager entwickelt. Hier entstand und entsteht „Meinung“ indem Menschen persönliche Beziehungen pflegen und sich in Vereinen, Bürgerinitiativen, Kirchen und Parteien engagieren. Dies zu bewahren ist unser großes Ziel. Wir bauen auf die unterschiedlichen und vielseitigen Sichtweisen der einzelnen Menschen, wir bauen auf Mitsprache und auf das Recht sich frei äußern zu können. Und wir bauen auf demokratische Bildung als Grundpfeiler für unser respektvolles Miteinander.
All das, was wir als unsere städtischen Prinzipien sehen, soll dazu beitragen, dass unsere demokratischen Errungenschaften bewahrt und vor allem auch genutzt werden. Das führt unausweichlich zu Meinungsverschiedenheiten und Auseinandersetzungen. Die gilt es auszuhalten. Und das tun wir!

Gedenken der Gewerkschaften:

Der Stein, der ins Wasser geworfen wurde.

Robert Günthner, DGB Bayern
Der II. Weltkrieg, entfesselt durch das Naziregime, vernichtete Millionen Menschen in Europa und Afrika und zerstörte Länder, Regionen und Nationen. Beim Gedenken an das Ende dieses Krieges mit all seinen Gräueln dürfen die mehr als 500.000 KZ-Häftlinge in Deutschland nicht vergessen werden. Diese Häftlinge wurden als politische Volksfeinde, rassisch minderwertig, als unwertes Leben, Verbrecher etc. aus der „arischen Volksgemeinschaft“ ausgesondert und in die KZ´s gesperrt. Ziel war es, mit ihrer Arbeitskraft Geld für die SS zu verdienen, indem sie an Firmen „vermietet“ wurden und gleichzeitig diese Menschen durch einen skrupellosen Arbeitseinsatz seelisch, körperlich und psychisch zu zerbrechen und zu vernichten. Terror und uneingeschränkte Ausbeutung drückt sich in dem Satz an den Eingangstoren vieler KZ´s aus: “ Arbeit macht frei“.

Das Verständnis der Volksgemeinschaft der Nationalsozialisten bedeutete die Leugnung der Unterschiede in einer Gesellschaft, die einzig bedeutsame Bestimmung für die Nazis war. Es ist daher kein Zufall, dass Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter mit die ersten waren, die von den Nazis verhaftet, deportiert und weggesperrt wurden. Das ist der Ausgangspunkt für die grundlegende Gegnerschaft der Gewerkschaften gegen die Nationalsozialisten und deren Apologeten heute.
Aus diesen Erfahrungen, in der Erinnerung an die Leiden der Gewerkschafter in den KZs und im Gedenken an die Millionen Ermordeten der Shoah begann der DGB Bayern sehr früh mit dem Erinnern und Gedenken.
Im Jahr 1952 ist die erste Gedenkveranstaltung des bayerischen DGB mit Kranzniederlegung auf dem jüdischen Friedhof in München dokumentiert, im Jahr 1958 die erste Gedenkveranstaltung der DGB-Jugend im ehemaligen KZ Flossenbürg.

Gedenkstein Hersbruck
In den 80er Jahren intensivierte die DGB-Jugend in Bayern ihre Aktivitäten zur Erforschung der regionalen NS- und Nachkriegsgeschichte. Damit arbeitet die DGB-Jugend auch gegen, wie es Samuel Salzborn viel später ausdrückte, „Die Abwehr der Shoah im deutschen Erinnern“.
Die DGB-Jugend Bayern setzte diese Tradition fort, indem sie am 5.November 1983 auf dem Gelände des ehemaligen KZ´s einen Erinnerungsstein setzte, an dem die Worte „Wer sich des Vergangenen nicht erinnert, ist dazu verurteilt, es noch einmal zu erleben“ angebracht wurden. Dieser Stein erwies sich im sprichwörtlichen Sinne „als ein Stein, der ins Wasser geworfen wurde und erhebliche Wellen warf“. Mit und durch die Setzung des Steins gingen heftige Diskussionen im Stadtrat und der Bevölkerung einher, die zu einer weiteren Aufbereitung der Geschichte des KZ´s in Hersbruck durch den leider kürzlich verstorbenen Gerd Vaselow führte. In der Folge schlossen sich Bürger von Hersbruck zu einem Dokuverein KZ Hersbruck zusammen mit dem Ziel, das Wissen und das Gedenken an das Geschehen vor den Toren von Hersbruck aufzubewahren, aufzubereiten und allen Interessierten zugänglich zu machen.
Heute wird das KZ Hersbruck, als drittgrößtes KZ in Bayern, von der Politik und vielen Menschen in Hersbruck nicht mehr verschwiegen bzw. geleugnet, sondern als Teil der eigenen Geschichte anerkannt und die Erinnerungsarbeit vor Ort unterstützt.
Die Gewerkschaften, d.h der DGB, wird diese Erinnerungsarbeit weiterhin unterstützen. Niemals wieder sollen Menschen entrechtet, eingesperrt und ermordet werden aufgrund ihrer Rasse, Religion, politischen Überzeugung, Zugehörigkeit zu einer Gruppe. Dazu ist es wesentlich, sich der Geschehnisse in der Vergangenheit zu erinnern und gegen rechtes Gedankengut und Aktivitäten wirksam einzutreten.
Bernt Engelmann, einst selbst Häftling im KZ Hersbruck, schrieb in einem Geleitwort zur Facharbeit von G. Vanselow: “ Genau das . haben wir uns einst erhofft, wir, die Häftlinge des Lagers Hersbruck der Jahre 1944/45, dass unsere vielen Toten und wir wenigen Überlebenden nicht vergessen würden, dass einer es erforschen und aufschreiben würde, was da vor den Augen der Bevölkerung der kleinen Stadt an der Pegnitz Tag für Tag geschah.“

Erinnern heißt kämpfen!

Sophie Kögel, DGB Jugend Mittelfranken
„Wer sich des Vergangenen nicht erinnert ist dazu verurteilt es noch einmal zu erleben“, lautet die Inschrift des Gedenksteins. Er wurde von der DGB Jugend 1983 als Erinnerung an die Opfer des Holocaust, insbesondere für die Ermordeten des KZ-Außenlagers Hersbruck gesetzt. Gedenken ist also auch Mahnung an die Gesellschaft, damals wie heute. Gewerkschaftliche Arbeit war immer auch Erinnerungsarbeit und ist noch heute für die gewerkschaftliche Jugendarbeit essenzieller Bestandteil.
Gerade in Zeiten, in denen die neuen Rechten erstarken, Antisemitismus, Ausgrenzung und Hass politisch wieder aufflammen, ist es notwendig sich dagegen zu stellen. Das heißt Erinnerungsarbeit weiterführen, Teilnahme an Gedenkveranstaltungen und Seminaren, gewerkschaftlicher Austausch mit dem israelischen Gewerkschaftsbund, der Histadrut. Ein gemeinsames Aufarbeiten der Geschichte, das Aufzeigen und Verurteilen der Geschehnisse während des dritten Reiches sind unumgänglich.

„Erinnern heißt Kämpfen“, das war im vergangenen Jahr der Slogan der DGB Jugend Bayern für die Gedenkveranstaltungen der Opfer des Nationalsozialismus. Erinnern heißt sich bewusst werden, dass eine systematische Ausgrenzung und Vernichtung von Menschen nie wieder geschehen darf. Aus diesem Verständnis heraus wollen wir aktiv werden. Bei rechten Äußerungen nicht einfach weg hören, sondern sich einmischen. Sich solidarisch zeigen mit Geflüchteten. Rassistischen und antisemitischen Organisationen die Stirn bieten. Gerade wenn eine nationalistische, ausländerfeindliche und geschichtsverdrossene Partei wieder einen Platz im Bundestag einnimmt, ist es notwendiger denn je, sich dagegen zu stellen und für Solidarität und Zusammenhalt einzustehen. Sich stark machen gegen Rassismus und Ausgrenzung. Das kann im Kleinen durch Gespräche und Diskussionen im Freundeskreis, in Schule, Uni oder Betrieb geschehen. Wichtig ist, dass man sich positioniert und einsetzt. Als Gewerkschaftsjugend übernehmen wir auch im Großen Verantwortung, dass die Vergangenheit nicht wieder auflebt.
Wir als DGB Jugend Mittelfranken stellen uns gegen das Erstarken faschistischer Kräfte und treten ein für eine solidarische und menschenwürdige Zukunft. Somit gedenken wir der Opfer des Nationalsozialismus und sehen es als unsere Aufgabe ihr Andenken auch in der Gesellschaft weiter leben zu lassen.
„In Zeiten wie diesen ist es notwendig innezuhalten und zurück zu blicken, das Vergangene mit der Zukunft zu verstricken.
Ich bin nicht schuldig, wir sind nicht schuldig –
Aber um nicht schuldig zu werden sind wir verantwortlich.“

„Was hat das mit mir zu tun?“

Junge Erwachsene und modernes Gedenken

Dr. Matthias Rittner,
Wissenschaftlicher Mitarbeiter KZ­Gedenkstätte Flossenbürg

Wie sollen lebendige Erinnerung und Gedenken an die nationalsozialistischen Gewaltverbrechen 75
Jahre danach aussehen? Darüber standen SchülerInnen aus Hersbruck und dem tschechischen Litoměřice im Austausch. Beide Orte verbindet die Vergangenheit, denn sie waren die beiden größten Außenlagerstandorte des Konzentrationslager­Komplexes Flossenbürg. Seit 2017 besteht Kontakt zwischen dem Paul­Pfinzing­Gymnasium und dem Gymnázium Josefa Jungmanna. Mit verschiedenen deutsch­tschechischen Beiträgen wollten SchülerInnen beider Einrichtungen eine Gedenkveranstaltung in Hersbruck am 20. April zum 75. Jahrestag der Befreiung mitgestalten. Nur wenige Tage später, am 26. April, sollte in Flossenbürg der Jahrestag mit ehemaligen Häftlingen und Angehörigen begangen werden. Aufgrund der Corona­Pandemie konnte nun keine der Veranstaltungen stattfinden. Die Planungen zeigen aber, in welche Richtung sich Gedenken entwickeln muss, wenn es nachhaltige Wirkung zeigen und nicht bloßes Lippenbekenntnis sein soll: Jugendliche müssen in Gedenkveranstaltungen aktiv eingebunden werden. Sie brauchen Begleitung bei dem Prozess, für sich eine Antwort auf die Frage zu finden, welche Relevanz die Geschichte der Konzentrationslager für sie heute hat und welche Formen der Erinnerung sie für angemessen halten. Sie sollen nicht Statisten in ritualisierten Gedenkhandlungen sein, sondern junge Menschen, die mit ihren eigenen Ideen am Gedenken teilhaben und es damit auch zu „ihrem“ Gedenken machen.

Damals nach dem Krieg

Erinnerungen von Dieter Rosenbauer
Da wir außerhalb von Hersbruck auf dem Berg wohnten, gingen viele Dinge, die sich nach dem sogenannten „Umsturz“ in der Stadt abspielten, ziemlich unbemerkt an mir vorüber. Das erste schlimme Erlebnis für mich war, dass nach ein paar Tagen vor unserem Haus ein amerikanischer Panzer vorfuhr und die Amerikaner meinen Vater verhafteten und in ein Internierungslager brachten. Ein halbes Jahr hörten wir nichts mehr von ihm – wir wussten nicht einmal, ob er noch lebte, es gab ja die wildesten Gerüchte. Wir mussten uns also als große Familie mit sechs Kindern – ich war der Jüngste – so gut es ging einrichten. Wir hatten einen großen Garten mit Obst, Gemüse, Hühnern, Stallhasen und Ziegen. Fürs tägliche Überleben war also gesorgt. Und alles wurde mit Nachbarn und Bekannten, die das alles nicht hatten, geteilt.
Mein nächstes tiefgehendes Erlebnis war, dass bei uns ein amerikanischer Offizier erschien, der meiner Mutter erklärte, unser Haus sei beschlagnahmt: „Morgen früh um 8 Uhr zieh ich mit meinen Offizieren hier ein.“ Innerhalb von 12 Stunden mussten wir unser Haus räumen. In kürzester Zeit hatte meine Mutter die Zusage von Verwandten, dass wir zu ihnen auf einen kleinen Bauernhof nach Altensittenbach umsiedeln können. – Unglaublich – eine Familie mit sechs Kindern in 2 Zimmern. Alle Nachbarn, Bekannte und auch Unbekannte packten mit an. Ohne einen Lastwagen, nur mit einem Pferdefuhrwerk, wurde das gesamte Hausinventar von 6 Uhr abends bis 6 Uhr früh nach Altensittenbach transportiert. Das Haus war leer, nichts fehlte, sogar die Vorhänge waren abgenommen. Ich führte als Sechsjähriger unsere 5 Ziegen über den Michelsberg nach Altensittenbach. Ich war sehr stolz auf meine Leistung; fühlte ich mich doch geradezu als Retter der Familie. Tags darauf erschien wieder der amerikanische Offizier zur Hausübergabe. Dabei beschwerte er sich sehr zornig meiner Mutter gegenüber, dass sogar die Vorhänge weg waren. Meine Mutter erwiderte ziemlich patzig, dass sie geglaubt habe, er wäre Naturliebhaber und möchte die schöne Aussicht über Hersbruck genießen. Seine giftige Antwort darauf: “ Noch ein Wort, in meinem Lager ist noch ein Platz frei für sie!“ Da rutschte mir das Herz in die Hose. Später erfuhren wir, dass dieser Offizier, Lagerkommandant des Internierungslagers in Hersbruck war.
Nun mussten wir uns in Altensittenbach in den engen Verhältnissen erstmal eingewöhnen. Für 6 Kinder musste Essen auf den Tisch und alles hing an meiner Mutter. Sie organisierte die Familie, jeder hatte seine Aufgaben, ich war für meine geliebten Tiere zuständig. Aber, so schlimm die Verhältnisse auch waren, für mich war auf einmal alles ein großes Abenteuer. Ich hatte ja meine Mutter und meine Geschwister. Und das Beste – wir hatten keine Schule!
Von den Vorgängen in Hersbruck bekamen wir relativ wenig mit. Es fuhren zwar unentwegt Panzerkolonnen durch Hersbruck, aber das war für uns weniger schrecklich, es war interessant für uns Buben. Ich war hauptsächlich mit unseren, für unsere Versorgung wichtigen Haustieren beschäftigt, und fühlte mich sehr wichtig für die Familie. So gut, wie ich es als inzwischen Achtjähriger konnte, werkelte ich auf dem Bauernhof mit, als Belohnung gab es ein dick beschmiertes Butterbrot. Nach einem halben Jahr zogen die Amerikaner wieder aus, und wir konnten in unser Haus zurück. Aber es dauerte nicht lange, da wurden Flüchtlingsfamilien aus dem Sudetenland einquartiert – insgesamt 30 Personen mit Kindern, teilweise 5 Personen in einem Zimmer. Trotz der Enge kann ich mich an keine Streitigkeiten erinnern. Meine Mutter teilte jeder Familie ein Stück Garten zu. Und so konnten alle ihr Gemüse anbauen, teilweise wurde sogar Getreide gesät und geerntet. Da sah ich zum ersten Mal Mohnkapseln. Mit dem Mohn wurde Kuchen gebacken, oder es gab Zwetschgendatschgerl ganz was Neues. Durch die vielen Kinder war es für mich eine herrliche Zeit. Meine Mutter schrieb täglich einen Brief an meinen Vater, da sie erfahren hatte, dass er in einem Lager bei Karlsruhe interniert war. Was noch 2 Jahre dauern sollte.
Was in der Zwischenzeit in Hersbruck passierte, kann ich nicht so recht beurteilen. – Ob sich die Hersbrucker zu einer Gemeinschaft mit demokratischer Ordnung zusammenfanden, war für einen achtjährigen ohne Bedeutung. Ich glaube, man tat sich schwer damit, denn ich kann mich an den oft gehörten Ausdruck erinnern: „Der Druck von oben ist weg, aber wenn halt der Schwindel nicht wär!“ Man war ganz einfach der Demokratie gegenüber sehr skeptisch. Zwölf Jahre Diktatur sind nicht so ohne weiteres abzustreifen. Im Nachhinein bin ich fest überzeugt, dass ohne den Druck der Amerikaner ein Demokratieaufbau in so relativ kurzer Zeit nicht möglich gewesen wäre. Wenn wir uns fragen, was wir aus dieser sogenannten „schlechten“ Zeit mitnehmen können, so ist es für mich, die ungeheure Hilfsbereitschaft untereinander in dieser schweren Zeit. Vielleicht weil es die Kluft zwischen „arm“ und „reich“ nicht gab. Die damalige Not machte erfinderisch, um das tägliche Leben zu meistern, und wir waren auch dankbar für jede kleine Verbesserung. Man sehnte sich nach Normalität, aber was war schon normal?

Schulalltag nach Kriegsende

Sichtweisen einer Schülerin

Irmingard Philipow
An den Schulalltag direkt nach Kriegsende, d. h. die letzte Zeit in der Hersbrucker Grundschule kann ich mich kaum mehr erinnern. Jedenfalls begann im Herbst 1946 mein Schulalltag im Hersbrucker Gymnasium, der damaligen Oberrealschule Hersbruck. Zunächst waren wir im alten Finanzamt in der Amberger Straße untergebracht, bis nach der Restaurierung der Umzug in das heutige Emil-Held-Haus möglich war. Die Klassen waren riesig, die räumlichen Verhältnisse beengt. Wir saßen auf Zweisitzer-Bänken, die in militärischer Ausrichtung in langen Reihen hintereinander standen. Sonstige Ausstattung: ärmlich; Wandtafeln, Kreide und Lappen, sonst nichts. Schulbücher oder Anschauungsmaterialien wie Filme oder Modelle: wenig bis gar keine. Wir schrieben wie die Weltmeister in unsere Hefte (die gab es wenigstens) den von den Lehrkräften im Unterrichtsverlauf an der Tafel notierten Lehrstoff ab. Die Lehrkräfte erklärten den Stoff, die SchülerInnen mussten ihn aufnehmen und zu gegebener Zeit wiedergeben.
Interessantes Phänomen: Der Geschichtsunterricht endete selbst in der Abschlussklasse (1954!) bei der Weimarer Verfassung. Das 3. Reich mit seinem „glorreichen“ Führer Adolf Hitler, der viele Länder mit Krieg überzog und dabei das deutsche Volk ins Unglück stürzte, wurde ausgeklammert. Über die Ursachen mag man sich seine Gedanken machen. Unsere Lehrkräfte waren zumeist ältere Männer, die nach und nach ihre Entnazifizierung hinter sich gebracht hatten. Die jüngeren Männer waren in Gefangenschaft oder im Krieg gefallen. Berufstätige Mütter waren eine Seltenheit im Schulalltag, aufgrund der Tatsache, dass damals keine Teilzeitarbeit für Frauen üblich war.

Der Erziehungsstil der meisten Lehrkräfte war direkt nach dem Krieg rein autoritär. Dem „befehlenden Führer“ war Folge zu leisten. Schüler hatten keine Rechte, sondern ausschließlich Pflichten.
Dazu ein Beispiel aus eigenem Erleben: Ein hinter mir sitzender Klassenkamerad hatte irgendeinen Unfug begangen, der mir, obwohl unschuldig, mit angelastet wurde. Ich bekam ungerechterweise einen Verweis, den ich zu Hause meinem Vater(!) zur Unterschrift vorzulegen hatte, was ein mittleres familiäres Erdbeben hervorrief. Ich versuchte, meine Unschuld zu beteuern – jedoch ohne Erfolg. „Wenn du von deinem Lehrer einen Verweis bekommen hast, so wird das zu Recht gewesen sein.“ So die Worte meines Vaters. Weitere Erklärungen zwecklos. Ich wurde streng bestraft. (Es ist mir entfallen, womit, aber ich weiß noch, dass es in dieser Situation sehr bitter für mich war).
Erst nach und nach wandelte sich die anfängliche restriktive autoritäre Situation in eine demokratischen Zielsetzungen gemäßere Form.
Es gab aber in der schwierigen Anfangszeit für hungrige Nachkriegskinder auch freudige Erlebnisse, z. B. die tägliche Schulspeisung, auf die wir uns als Kinder der mageren Jahre mit ihrer Mangelversorgung von Tag zu Tag freuten. Mit unseren Henkeltöpfchen, Milchkannen oder anderen geeigneten Gefäßen standen wir in langen Schlangen an und freuten uns über Erbsensuppe mit Würstchen und Rosinen (etwas gewöhnungsbedürftig!), über Grießbrei oder Kakao mit einem Gebäckstück. Mmm, das schmeckte fein und danach ging das Lernen auch wieder viel besser als mit einem knurrenden Magen. Und gar nicht so selten freuten sich zu Hause weitere Familienmitglieder über mitgebrachte Reste.